Chronische Rückenschmerzen

Dr Lorinde Huard, Schmerzmedizin SSIPM, FIPP, CIPS, Anästhesiologie FMH 

Unter Lumbalgien versteht man Schmerzen im unteren und mittleren Rücken, teilweise mit schmerzhaften Ausstrahlungen in die Beine. Chronische Rückenschmerzen sind weltweit die häufigste Ursache für Invalidität und Arbeitsunfähigkeit. Sie treten bei vier von fünf Menschen im Laufe ihres Lebens auf; mit einer erhöhten Prävalenz um das 50. Lebensjahr. Dies ist eine echte Herausforderung für die öffentliche Gesundheit und erfordert eine multidisziplinäre und individuelle Behandlung. 

Spezielle Kriterien, um den Schweregrad von Lumbalgien zu differenzieren, werden allgemein nicht angegeben, allerdings spricht man von chronischen Rückenschmerzen, wenn sie länger als drei Monate andauern. Bei Schmerzen zwischen 6 Wochen und 3 Monaten spricht man von subakuten Rückenschmerzen. Gerade die Behandlung von subakuten Schmerzen sollte rigoros und gezielt stattfinden, um eine Chronifizierung der Symptome wirksam zu verhindern.

Abklärung von Rückenschmerzen

Abklärung von Rückenschmerzen

Bei der Erstkonsultation von Lumbalgien ist die Anamnese von grösster Bedeutung. Erstmals sollten sogenannte «red flags» ausgeschlossen werden. Darunter versteht man RisIken, wie höheres Alter mit entsprechender Beeinträchtigung des Allgemeinzustands, onkologische, infektiöse, systemische Begleiterkrankungen, oder ein stattgehabtes Trauma, neurologische Defizite usw. Eine strenge klinische Untersuchung sollte die Anamnese auf jeden Fall ergänzen: handelt es sich um eine radikuläre Symptomatik mit Verdacht auf ein Nervenkompressionssyndrom (Bandscheibenvorfall), eine Diskopathie, ein Facettengelenkssyndrom, ein schmerzhaftes Iliosakralgelenk, myofasziale Schmerzen mit Muskelkontrakturen usw. Es sollten aber auch noch Zeichen von Hyperlaxität oder Anhaltspunkte für eine systemische rheumatische Pathologie ausgeschlossen werden.

Wann sollten radiologische Abklärungen stattfinden?

Wann sollten radiologische Abklärungen stattfinden?

Ein MRT der Wirbelsäule ist vor allem beim Vorliegen von «red flags» indiziert, (wobei bei einem Verdacht auf ein Trauma mit Fraktur ein konventionelles Wirbelsäulen Röntgen ausreichend wäre) oder bei anhaltenden Rückenschmerzen, um die Diagnose zu verfeinern. Bei der Interpretation muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Prävalenz asymptomatischer degenerativer Erkrankungen nach dem 60. Lebensjahr bei etwa 80 % liegt. Aus diesem Grund kann nur eine positive Korrelation zwischen klinischem Bild und radiologischen Befund zur weiteren Diagnostik in Betracht gezogen werden. Um eine Diagnose zu verifizieren bzw. zu bestätigen führen wir diagnostische Testblockaden mit Lokalanästhetika (in erster Linie ohne Cortison) durch.

Behandlung von chronischen Rückenschmerzen

Behandlung von chronischen Rückenschmerzen

Da die Ursachen von chronischen Rückenschmerzen komplex und sehr unterschiedlich sein können, muss auch die Therapie entsprechend angepasst werden. Die Erstbehandlung sollte in erster Linie medikamentös erfolgen (entzündungshemmende Medikamente, Paracetamol, eventuell Tramadol und muskelentspannende Medikamente) mit adaptierter Physiotherapie.

Kinesiophobia, eine lähmende Angst vor körperlicher Bewegung und Aktivität, ist eine der wesentlichen Ursachen der Entwicklung von chronischen Rückenschmerzen, und sollte so rasch wie möglich durch adäquate Physiotherapie behandelt werden. Ausserdem wird dadurch einer zunehmenden Muskelschwäche entgegengewirkt, eine zusätzliche Ursache von chronischen Rückenschmerzen. Eine gezielte Bewegungstherapie, wie Yoga und Pilates, die auf die Stärkung von paravertebraler, abdominaler und innerer Haltemuskulatur abzielt, ist angezeigt. Auch Ausdauersport ist zu empfehlen. Manchmal sind auch stärkere Schmerzmittel erforderlich, allerdings sollte klar postuliert werden, dass Opioide nicht die erste Wahl bei der Behandlung von Rückenschmerzen (mit Ausnahme von tumorbedingten Rückenschmerzen) sind.

Bei den Schmerzen kann je nach Genese zwischen unterschiedlichen Schmerzqualitäten differenziert werden. Sie können entzündlich, mechanisch, oder möglicherweise auch neuropathisch sein, beziehungswiese aus mehreren Komponenten bestehen. Neuropathische Schmerzen können bei eine Nervenkompression, einer sogenannten Radikulopathie, bei einem engen Lumbalkanal, bei einem sogenannten «Postlaminektomie-Syndrom» oder einem komplexem regionalen Schmerzsyndrom auftreten.

Neuropathische Schmerzen können durch zentral wirksame Medikamente (z.B. Antiepileptika oder Antidepressiva) gelindert werden.

Bei therapieresistenten Schmerzen schlagen wir Neuromodulationstechniken vor. Dabei kann es sich um die Verwendung von transkutanen Geräten (TENS) handeln, oder invasive Techniken, wie das Einbringen von spinalen Neurostimulationselektroden in der Wirbelkanal. Eine intrathekale Pumpe könnte eine weitere adjuvante Therapie bei sehr intensiven, therapierefraktären Rückenschmerzen darstellen, die in bestimmten Situationen wie z.B. Knochenmetastasen im Rahmen von Tumorerkrankungen auftreten können, wobei die Lebenserwartung des Patienten berücksichtigt werden muss.

Die Rolle des biopsychosozialen Modells

Die Rolle des biopsychosozialen Modells

Wie bei allen chronischen Schmerzen wird die Entwicklung von Rückenschmerzen durch weitere Faktoren, die durch das biopsychosoziale Modell beschrieben werden, beeinflusst, Dieses berücksichtigt die Erfahrungen des Patienten, die physischen und psychischen Auswirkungen von Schmerzen auf den Patienten und deren Einfluss auf dessen Berufsleben und sozialen Beziehungen. So sind depressive Verstimmungen, Angstzustände, «katastophizierende» Gedanken und Vorstellungen, aber auch oftmals Versicherungsprobleme oder Invaliditätsansprüche, Faktoren, die zu einer Chronifizierung und Intensivierung der Schmerzen führen. Hier spricht man von sogenannten «yellow» oder «black flags».

Komplexe Fragebögen, die u.a. auch diese Risken hinweisen können, werden vom Patienten vor jeder ersten Konsultation in unserem Institut ausgefüllt.

Multidisziplinärer Ansatz

Multidisziplinärer Ansatz

Im Swiss Pain Institute verfolgen wir einen multidisziplinären Ansatz. In täglichen Besprechungen zwischen unseren verschiedenen medizinischen Akteuren, spezialisierte Ärzte (Anästhesisten mit einer fundierten Schmerzausbildung), Psychiater und Psychologen, Physiotherapeuten und Krankenschwestern tauschen wir uns über diese Aspekte der chronischen Rückenschmerzen aus, und optimieren so die individuelle Betreuung jedes einzelnen Patienten.